"Der Pädagoge ist aktiv, wenn er das Kind mit der Umgebung in Beziehung bringt. Er ist ist passiv, wenn diese Beziehung erfolgt ist."
Maria Montessori
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Geschichte der Montessori-
arbeit in Aachen
Die Geschichte der Montessori-Kinderhäuser und Montessori-Schulen in Aachen beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit der Reformbewegungen. Es entstehen neue Ideen in der Kunst, der Architektur, der Literatur, der Pädagogik und der Psychologie, in der Politik und in Formen des religiösen Lebens. Im Mittelpunkt steht bei allen der Gedanke der Freiheit des Individuums. Dieser Zeitgeist spiegelt sich in der Reformpädagogik wieder. Maria Montessori gehört zu den bekannten und wegweisenden Reform-Pädagog*innen. Ihre ganz andere Sicht auf das Kind und seine Entwicklung, ihre Vorstellung von Rolle und Aufgabe der Pädagog*innen, die von ihr erdachten Entwicklungsmaterialien und die Konzeption der Räumlichkeiten der Einrichtungen und der Gestaltung des Tages stoßen auf große Begeisterung und verbreiten sich schnell innerhalb Europas. Nachdem 1907 das erste Montessori-Kinderhaus in einem Arbeiterviertel in Italien eröffnet wird und Maria Montessori über Italien hinaus in Vorträgen von ihrer neuartigen Methode berichtet, wächst das Interesse mehr und mehr. 1913 erscheint eine erste deutsche Übersetzung ihres Werkes „Die Entdeckung des Kindes“.
In Deutschland ist es vor allem Clara Grunwald zu verdanken, dass die Montessori-Pädagogik zunächst in Berlin und dann in einer Reihe von anderen Städten umgesetzt wird. Fasziniert von den revolutionären Ideen Montessoris, bringt Clara Grunwald sich mit großem Engagement für die neue Erziehung nach den Prinzipien Maria Montessoris ein. Nach dem ersten Weltkrieg, der ihre Arbeit unterbricht, setzt sie ihre Bemühungen fort. Sie gründet die Deutsche Montessori-Gesellschaft und schreibt zusammen mit ihrer Kollegin und Freundin Elsa Ochs ein Buch, das unter dem Titel „Montessori-Erziehung in Familie, Kinderhaus und Schule“ erscheint, und hält viele Vorträge, um andere für die neue Methode zu gewinnen - so auch in Aachen.
Ihre Begeisterung für die Montessori-Pädagogik steckt an. Durch die Initiative einiger Aachener Bürger, wird am 7.Dezember 1924 in der Villa Lammertz am Salvatorberg die erste Private Aachener Montessori-Schule gegründet.
1925 wird vom Ministerium die Erlaubnis erteilt, diese Einrichtung als pädagogische Versuchsschule auszubauen.
Clara Grunwald unterstützt die neu entstandene Einrichtung und vermittelt ausgebildete Montessori-Pädagog*innen. In den ersten Jahren ziehen Montessori-Kinderhaus und– Schule von einer leerstehenden Villa in die nächste, sogar eine ehemalige Fabrik dient eine Zeit lang als Standort für die Aachener Montessori-Schule.
Peter Gösgens, der von 1926 bis 1927 an dem ersten Montessori-Lehrgang in Deutschland teilgenommen hat, übernimmt ab 1929 die Leitung der Einrichtung. 1930 ziehen Kinderhaus und die Schule in die Kaiserallee (heute Oppenhoffallee) in das stattliche Haus Nr.10, zu dem ein großer Garten gehört. Nun ist genug Platz vorhanden, um noch mehr Kinder aufzunehmen. Unter ihnen sind auch für eine längere Zeit Anne Frank und ihre Schwester Margot, denn ihre Mutter Edith Frank geb. Holländer, ist gebürtige Aachenerin. Während Otto Frank in Amsterdam eine neue Existenz aufbaut, lebt seine Frau Edith Frank mit den Kindern bei ihren Eltern in Aachen.
Im Jahr 1926 übernimmt Helene Helming die Leitung des Aachener Fröbelseminars. Auch sie ist überzeugt von den Ideen Montessoris und besucht 1926/27 den Montessori-Lehrgang in Berlin. In Aachen steht Helene Helming in engem Kontakt mit Peter Gösgens und dem gesamten Montessori-Kollegium.
1927 richtet sie eine Kinderhausgruppe im Aachener Fröbelseminar ein. 1930 und 1931 folgen hier zwei weitere Gruppen und ebenfalls 1931 wird die Erlaubnis erteilt, darauf eine Montessori-Schule aufzubauen, sodass in Aachen nun zwei große Montessori-Einrichtungen bestehen. In Zusammenarbeit mit Rudolf Schwarz, dem Leiter der Aachener Kunstgewerbeschule (Werkkunstschule) entstehen Pläne für den Bau eines Montessori-Schul-Komplexes mit Kinderhaus. Leider bleibt es bei dem Entwurf – mit Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus wird die Montessori-Arbeit mehr und mehr beschnitten und schließlich verboten. 1934 wird die Montessori-Schule in der Kaiserallee von der NSDAP aufgelöst. Ein Teil dieser Schule kann der Einrichtung am Fröbelseminar angeschlossen werden. 1935 aber wird Helene Helming zwangsweise in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, sodass die Montessori-Arbeit nicht mehr weitergeführt werden kann. 1936 schließlich schließt die NSDAP alle Montessori-Einrichtungen in Deutschland.
Die Montessori-Pädagogik aber bleibt lebendig in Aachen. Bald nach dem Krieg, mitten in den Trümmern, beginnt ein Neuanfang. Namhafte engagierte Aachener Bürger erhalten durch Verfügung der Aachener Regierung 1948 die Erlaubnis, eine nunmehr Städtische Montessori-Schule zu gründen.
Peter Gösgens, der Nazi-Verfolgung und Kriegsdienst überstanden hat, wird mit dem Aufbau der Städtischen Montessori-Schule beauftragt. Dabei wird er unterstützt von der Pädagogischen Akademie. Mit viel Elan und großer Einsatzbereitschaft von Peter Gösgens, der Elternschaft, von Freunden und ehemaligen Schülern startet die Städtische Montessori- Schule am 2. November 1948 den Neubeginn. Jahr um Jahr wächst die Anzahl der Kinder, und weitere Klassen werden eröffnet.
1954 findet der erste internationale Montessori-Diplom-Lehrgang in Deutschland statt unter Mitwirkung von Helene Helming, die zur Rektorin der Pädagogischen Akademie in Essen berufen worden ist. Das Kollegium der Städtischen Montessori-Schule Aachen und andere interessierte Erzieherinnen und Lehrerinnen nehmen an dem Lehrgang teil .
In kirchlicher Trägerschaft entstehen in Aachen weitere Montessori-Kinderhäuser in den Pfarren St Adalbert, Heilig Kreuz, St Fronleichnam, später St Sebastian und St Hubertus. Auch die Stadt Aachen richtet Montessori-Kinderhäuser ein.
Nach mehreren Umzügen bezieht die Städtische Montessori-Schule 1963 ein großes Gebäude auf dem Schulgelände in der oberen Franzstraße, das für die Belange der Montessori-Pädagogik umgebaut worden ist. Zugleich wird der Schule ein Montessori-Kinderhaus zugeordnet, das im Erdgeschoß in großen, lichten Räumen eingerichtet wird. Montessori-Kinderhaus und Montessori-Schule bilden eine Einheit. Drei- bis sechzehnjährige Kinder leben fortan gemeinsam unter einem Dach nach den Prinzipien Maria Montessoris.
Nach der Pensionierung von Peter Gösgens 1963 übernimmt Ursula Kursidim ab 1964 die Leitung der Einrichtung.
Schon in den Provisorien der Fünfzigerjahre finden Montessori-Diplom-Lehrgänge statt, unter der Mitwirkung von Peter Gösgens. Seine Assistentin ist Helene Jacobs. Sie arbeitet seit 1953 an der Schule und ist Schülerin von Mario Montessori, dem Sohn Maria Montessoris.
In den Räumen der Montessori-Einrichtung Franzstraße werden ab 1963 fortlaufend Montessori-Diplom-Lehrgänge angeboten, nun unter der Leitung von Helene Jacobs.
Fortbildung spielt auch für das Kollegium der Montessori-Schule eine große Rolle. Es werden regelmäßig gemeinsam Materialien erstellt und enge Mitarbeiter*innen Maria Montessoris aus den Niederlanden, einige Male auch Mario Montessori, besuchen häufig die Aachener Einrichtung, beraten und zeigen Materialeinführungen.
1969 wird die Städtische Montessori-Schule in die Jesuitenstraße verlegt. Eine zweite Kinderhausgruppe entsteht. Dem Willen der Eltern entsprechend müssen immer mehr Kinder aufgenommen werden. Weitere Klassen und Kinderhausgruppen werden gebildet. Das führt 1984 zur Gründung einer zweiten Städtischen Montessori-Grund-und Hauptschule mit Kinderhaus in der Mataré-Straße.
In der Jesuitenstraße verbleiben eine Grundschule und eine Kinderhausgruppe. 1985 tritt Anneliese Heidbrink, die bis dahin eine Klasse an der Montessori-Schule Gilbachstraße in Köln leitete, die Nachfolge von Ursula Kursidim an.
1989 werden ein Montessori-Kinderhaus und eine integrative Montessori-Grundschule in städtischer Trägerschaft in der Kaiserstraße in Eilendorf eröffnet. Im gleichen Jahr werden die Hauptschulklassen der Schule Mataréstraße als Montessori-Zweig in die Hauptschule Kaiserstraße in Eilendorf verlegt. Die Montessori-Hauptschule bietet dort lange die Möglichkeit, im Anschluss an die Grundschule nach den Prinzipien Montessoris weiter zu lernen.
1989 steht außerdem ein weiterer Umzug an: Die Städtische Montessori-Grundschule Jesuitenstraße und das Kinderhaus wandern (die ganze Schulgemeinschaft zieht mit Trommeln und Rhythmusinstrumenten zu Fuß durch die Innenstadt vom alten in das neue Schulhaus) in das Gebäude der ehemaligen Hauptschule Reumontstraße. Dort werden mit der Zeit weitere Klassen und eine zweite Kinderhausgruppe eröffnet, denn das Interesse und der Wunsch, einen Platz im Kinderhaus und in der Schule zu bekommen, ist nach wie vor sehr groß.
1997 wird die Maria-Montessori-Gesamtschule gegründet. Nach einiger Zeit in provisorischen Räumen in der Sandkaulstraße, wird im April 2002 das neu errichtete Schulgebäude in der Bergischen Gasse bezogen.
Jutta Fremerey, vorher Lehrerin an einer Montessori-Schule in Bonn, übernimmt von 1999 bis 2005 die Leitung der Montessori-Grundschule Reumontstraße.
In der folgenden Übergangszeit wird die Schule kommissarisch von der Konrektorin Sabine Larisch geleitet, unterstützt von einem Lehrerinnenteam. Im August 2008 beginnt Marie- Liesel von Korff, bis dahin Leiterin der Montessori-Grundschule Eilendorf , ihre Tätigkeit als Schulleiterin der Städtischen Montessori-Grundschule Reumontstraße.
Die Montessori-Grundschule Reumontstraße bildet nun mit der benachbarten Alfred-von Reumont-Schule einen Verbund, in dem diese als Katholischer Grundschulzweig weitergeführt wird. Aus dem Verbund wächst nach einigen Jahren eine gemeinsame Schule, in der es nur noch Montessori-Klassen gibt.
2018 wird Marie-Liesel von Korff in den Ruhestand verabschiedet.
Eine Nachfolge gibt es zunächst nicht. Wieder übernimmt Sabine Larisch die kommissarische Leitung.
2022 beginnt Sabine Hetzer als neue Schulleiterin ihre Arbeit an der Montessori-Grundschule Reumontstraße. Seitdem Sabine Larisch 2023 ihren Ruhestand angetreten hat, wird Sabine Hetzer von Anna Mehring als Konrektorin unterstützt.
Mit Beginn des Schuljahres 2024/2025 leben und lernen 11 Grundschulklassen und ein zweigruppiges Kinderhaus unter einem Dach in der Reumontstraße.
Die Montessori-Grundschule Mataréstraße wird, nach einigen Jahren im Verbund mit der Katholischen Grundschule Mataréstraße, als dreizügige Montessori-Grundschule mit 12 jahrgangsgemischten Klassen geführt.
Zur Montessori-Grundschule Eilendorf gehören 8 jahrgangsgemischte Klassen. Übergangsweise in der Grundschule Barbarastraße untergebracht, soll in naher Zukunft wieder das umgebaute und grundsanierte Haus in der Kaiserstraße bezogen werden.
Seit dem Schuljahr 2020/2021 gibt es auf dem Campusgelände in Aachen die bilinguale Vincerola Montessori-Grundschule mit Kinderhaus, eine staatlich anerkannte, private Einrichtung.
Die Maria Montessori Gesamtschule greift das Montessori-Konzept als weiterführende Montessori-Schule auf.
In Stadt und Städteregion gibt es zurzeit insgesamt 17 Montessori- Kinderhäuser, davon drei unter einem Dach mit einer städtischen Montessori-Grundschule.
Im Mittelpunkt aller Montessori-Einrichtungen stehen die Kinder, die sich für das Entdecken und Begreifen unserer Welt begeistern lassen und ihren eigenen Weg suchen, unterstützt und begleitet von vielen engagierten Eltern und Pädagog*innen
-genauso, wie es in Aachen vor 100 Jahren, im Dezember 1924 begann…
Nach den Erinnerungen von Helene Jacobs
Angelika Reissen
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